The German Gymnasium – eine deutsche Turnhalle in London?

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Was ist das denn für ein Backsteingebäude, vermutlich aus dem 19. Jahrhundert, dachte ich mir, als ich aus der Bahnhofshalle von King’s Cross herauskam und das große, imposante Gebäude mit der Aufschrift  The German Gymnasium erblickte. Meine  Neugier war sofort geweckt. Eine deutsche Turnhalle in London?

Turnvater Jahn und die deutsche Turnerbewegung

Friedrich Ludwig Jahn ca. 1852 (Quelle: Wikipedia)

Friedrich Ludwig Jahn ( 1778 – 1852),
Pädagoge, nationalistischer Publizist und Politiker, propagierte Anfang des 19. Jahrhunderts das Turnen als Leibesertüchtigung. Dabei ging es ihm um die körperliche Fitness der Jugend zum Zwecke ihrer Wehrfähigkeit. Die deutsche Turnbewegung war mit der frühen Nationalbewegung verknüpft, um die deutsche Jugend auf den Kampf gegen die napoleonische Besetzung vorzubereiten.
Zahlreiche Turngeräte wie das Reck und der Barren wurden von ihm eingeführt.
1811 gründete Jahn den Berliner Turnverein, der bis 1815 auf 778 Mitglieder anwuchs. Auf dieses Beispiel hin wurden Turnvereine in 150 Städten Deutschlands gegründet, die 1818 insgesamt 12.000 Turner vereinigten.

Der deutsche Turnverein in London

Nach dem Vorbild deutscher Turnvereine gründete Ernst Ravenstein 1861 in London einen deutschen Turnverein/The German Gymnastics Association.
Das German Gymnasium wurde von Edward Gruning im preußischen Stil entworfen und war Englands erste eigens dafür errichtete Turnhalle, deren Finanzierung ausschließlich von der deutschen Gemeinde Londons stammte. 
Die Turnhalle wurde 1865 für den Deutschen Turnverein erbaut und war bereits 1866 Austragungsort der ersten Olympischen Hallenspiele in London.

Zur Erinnerung an die Einweihung der Turnhalle am 28. Januar 1865 wurde eine Medaille geprägt getragen vom Leitspruch der Turner. Dabei gibt es offenbar Varianten in der Reihenfolge der 4 F oder fröhlich statt froh, wie auf dieser Medaille.

Frisch, Fromm, Froh, frei

Die Turnhalle bot vielfältige Trainingsmöglichkeiten an.
Damen hatten separate Turnstunden in wenig praktischen Kleidern.
Die Turnhalle wurde auch zu gesellschaftlichen Zwecken genutzt, wie das Foto vom Christmas Dance veranschaulicht.

(Quelle: BMI)

Die Stoßrichtung der britischen Propaganda war von Kriegsbeginn an antideutsch angelegt, sodass  Veranstaltungen im German Gymnasium eingestellt wurden.

1916 wurde das Gebäude auf einer Auktion verkauft und im Laufe der Jahrzehnte verschiedenen Nutzungen zugeführt. Als Waffendepot im Zweiten Weltkrieg, erster Fahrkartenschalter in London, Teil des Gemeinderats, Kunstgalerie und Konferenzzentrum, bis es schließlich in seinen jetzigen Zustand renoviert wurde.

The German Gymnasium –
Grand Café, Restaurant, Meister Bar

Das heutige, seit 1976 unter Denkmalschutz stehende, Gebäude hat Strukturen der ehemaligen Turnhalle bewahrt und betont auch den Charakter der ehemaligen Nutzung mit zeitgenössischen Fotos von Turnerinnen und Turnern. Und dem Namen!
Es wurde im Herbst 2015 eröffnet.

Die Speisekarten sind zum Teil auf deutsch (mit englischen Übersetzungen) und bieten typisch deutsche Gerichte an.

Das wunderschöne historische Gebäude ist in drei Teile unterteilt:
Im Erdgeschoss befindet sich das Grand Café, das zum Frühstück, Mittag- und Abendessen deutsche und mitteleuropäische Lieblingsgerichte serviert. 

Grand Café
https://www.germangymnasium.com/wp-content/uploads/sites/75/2023/07/A-la-carte-Menu.pdf


Im Obergeschoss nimmt das Restaurant seine Gäste mit einer raffinierten saisonalen Speisekarte auf eine Reise durch die weniger bekannten Aspekte der deutschen Küche mit. 

https://www.germangymnasium.com/wp-content/uploads/sites/75/2023/07/Restaurant-Menu-1.pdf


In der ersten Etage mit dem Restaurant befindet sich auch die elegante Meister Bar, der ultimative Cocktail-Treffpunkt in King’s Cross, das den abendlichen Glamour Berlins nachahmen soll.
Als Signature Cocktails werden Cocktails angeboten, die von den deutschen Naturparks inspiriert wurden.

Our latest signature menu is inspired
by Germany’s National Parks, using
ingredients, flavours and colours that
represent their namesakes.

Das German Gymnasium ist ein historisches Gebäude mit Wow-Effekt, mittlerweile eines der berühmten Wahrzeichen Londons. Wie David Loewi von D&D London schwärmt: It’s got height, it’s got drama.
Und Projektleiterin Tina Norden betont das Besondere an diesem Gebäude: ein auffälliges, freistehendes Gebäude unter Denkmalschutz im großen Areal von King’s Cross.
Dass Björn Wassmuth das Restaurant auf Schnitzel, Gulasch und Wurst reduziert, wird ihm nicht gerecht.

Schaut es euch mal an, genießt die Architektur und Atmosphäre und gönnt euch einen Drink und ein leckeres Essen.

6 Replies to “The German Gymnasium – eine deutsche Turnhalle in London?”

  1. Wow! Du hast ein Goldstück ausgegraben und ich denke bei mir: warum habe ich das nicht auch gesehen?
    Aber genau das macht so viele Deiner Bilder aus: der ganz neue Blick auf die Dinge. Ein Genuss, reine Freude und Bewunderung. Bewunderung für Beide: die Objekte und die Fotografin.
    Danke!
    Wolfgang

    1. Lieber Wolfgang,

      ich freue mich immer sehr über deine Kommentare.
      Mich treibt die Neugier zum Fotografieren und wenn ich vor einem Gebäude stehe wie dem German Gymnasium, dann muss ich da auch reingehen. Wie z.B. auch die wunderschönen Treppenhäuser in den Kontorhäusern in Hamburg. Und Architektur ist „mein Ding“. Mir geht’s aber auch so mit Bildern von anderen Fotografen. Da denke ich immer: Warum hast du das nicht auch so gesehen? Andererseits bereichert das unseren Horizont.

      Liebe Grüße
      Barbara

  2. Liebe Barbara,
    kaum zu glauben, dass in London mal eine Turnhalle errichtet worden ist, um den Idealen von Turnvater Jahn nachzueifern. Die neue Nutzung und die architektonischen Veränderungen finde ich sehr gelungen. Vielleicht wird das Restaurant mit schwerpunktmäßig deutscher und österreichischer Küche für manchen Touristen zum kulinarischen Rettungsanker, wenn er mit der Küche des UK nicht zurecht kommt … wieder ein sehr informativer und interessanter Bericht!
    Liebe Grüße Rainer

    1. Lieber Rainer,

      ich war genauso überrascht, wie ich vor ein paar Jahren das erste Mal davor stand. Ich finde das Gebäude architektonisch sehr gelungen und offenbar wird das Restaurant gut von der Bevölkerung angenommen.
      Jedenfalls lohnt sich ein Besuch im Rahmen eines Besuchs von King’s Cross Central. Da hat man gut zu tun und kann noch einen Spaziergang am Regent’s Canal machen.

      Liebe Grüße
      Barbara

  3. Liebe Barbara,
    danke für Deinen informativen und äußerst interessanten Beitrag.
    Mir bereitet es immer große Freude, Deine Texte zu lesen. Sie machen neugierig und haben „Das muss ich unbedingt auch sehen“ Charakter..
    Text und Bebilderung sowie die Hinweise auf noch mehr Informationen runden Deinen Blog ab.
    Ideal gerade bei diesem Wetter zu lesen und sich dahin zu beamen.

    Herzliche Grüße
    Ute

    1. Liebe Ute,

      danke für deinen differenzierten Kommentar!

      Es war auch der ideale Tag, den Beitrag, der schon zu 95% vor meiner Berlinreise fertig war, bei diesem Wetter fertig zu stellen.
      In London hat man ja, wenn man noch nicht oft da war, andere Dinge im Visier. Aber das ganze Areal um King’s Cross ist sehr interessant geworden (siehe meinen Beitrag „London – People and Places“).
      Kann ich sehr empfehlen.

      Liebe Grüße
      Barbara

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