Schloss Steinort/Sztynort in Masuren – ein Stück Erinnerungskultur

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Der 20. Juli 1944

Heute vor 75 Jahren beging der Kreis um Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907-1944) ein Attentat auf Hitler im Führerhauptquartier Wolfsschanze bei Rastenburg in Ostpreußen. Das lange vorbereitete Attentat scheiterte, wie alle Versuche über die Jahre vorher, ein Zeichen gegen das Unrechtsregime zu setzen.
Hitler wurde nur leicht verletzt.
89 Personen
, die den Widerstandskreisen zugerechnet werden oder diese unterstützt haben, wurden zwischen dem 8. August 1944 und dem 9. April 1945 in Plötzensee ermordet. Familienangehörige in Sippenhaft genommen, Kinder der Angehörigen mit neuen Namen in Bad Sachsa, in verschiedenen Borntal-Häusern, interniert.

Auch nach dem Krieg galten die Widerstandsmitglieder in einigen Kreisen noch als Landesverräter, bis 1952 Fritz Bauer, in den Sechzigerjahren als Frankfurter Generalstaatsanwalt und Initiator der Auschwitz-Prozesse bekannt, im Braunschweiger Remer-Prozess einen öffentlichen Diskurs und einen Umdenkungsprozess in der deutschen Gesellschaft in Gang setzte.

Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort ( 1909 – 1944)

Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort  gehörte zu dem Kreis um Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Laut Antje Vollmer hatte er seit 1939/40 Kontakt zu diesem Widerstandskreis. Die Entscheidung zum Doppelleben (Vollmer, S. 151-162) fiel unter dem Eindruck des Massakers an 7000 Juden in Borissow (Vollmer, S. 151-152).

Seine Aufgabe in der Widerstandsbewegung bestand darin, die Kommunikation herzustellen zwischen den Mitverschwörern im Osten und dem Hauptquartier im Westen mit von Stauffenberg. Außerdem versuchte er,  weitere Mitverschwörer anzuwerben. (Verus von Plotho, Enkel von Graf von Lehndorff-Steinort im Interview, s. unten).

Schloss Steinort war der Familienwohnsitz der von Lehndorffs, wo auch der letzte Herr, Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort mit seiner Frau Gottliebe und ihren Kindern bis 1944 lebte.

Zwischen 1942 bis 1944 wurde es zu einem wichtigen Ort für die Verschwörung gegen Hitler.
Zum einen lag das Oberkommando des Heeres Mauerwald in unmittelbarer Nähe, zum anderen Hitlers Hauptquartier Wolfsschanze.
Hitlers Außenminister Ribbentrop  beschlagnahmte den linken Schlossflügel im Sommer 1941 und  ließ ihn zu seinem persönlichen Hauptquartier umbauen (Vollmer, S. 181).

Das vollständig getarnte Doppelleben  der Familie von Lehndorff begann:
auf der einen Seite waren die Lehndorffs mehrfach bei offiziellen Terminen Ribbentrops in Steinort zugegen. Auf der anderen Seite war Steinort der ideale Ort für konspirative Gespräche. (Vollmer, S.184)

Graf von Lehndorff-Steinort gehört zu den 89 in Plötzensee ermordeten Widerstandskämpfern. Seine Familie wurde in Sippenhaft genommen. Seine Kinder in Bad Sachsa interniert.

Schloss Steinort/Sztynort

Groß Steinort, polnisch Sztynort Duży, liegt 115 km nordöstlich von Allenstein /Olsztyn in der Wojwodschaft Ermland-Masuren. Die Landschaft auf einer vom Mauer-, Kirsaiten- und Labab-See umgebenen Halbinsel im Norden der Großen Masurischen Seenplatte ist besonders reizvoll. Ein großes Waldgebiet mit 300 bis 400 Jahre alten Eichenalleen und einige Gutshöfe gehören zum ostpreußischen Kulturerbe.

Seit 2007 engagiert sich die Deutsch-Polnische Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz an dem Projekt Rettung von Schloss Steinort  an der Seite der polnischen Schwesterstiftung Polsko- Niemiecka Fundacja Ochrony Zabytków Kultury (PNF), seit 2011 fachtechnisch unterstützt  von der Technischen Universität Dresden (Fakultät Architektur, Lehrstuhl Tragwerksplanung).
Die Lehndorff-Gesellschaft Steinort e.V. , seit 2010 ein gemeinnütziger Verein, generiert Spenden zur Sicherung und Restaurierung von Schloss Steinort. Der 2015 gedrehte Imagefilm hat das Ziel, weitere Unterstützer für das Projekt Steinort zu gewinnen.

 

Meine visuellen Eindrücke vom 03. Juni 2019

Auf einer kleinen Masurenrundfahrt machten wir einen Schlenker nach Steinort, um einen kurzen Blick auf das Schloss und in das Erdgeschoss zu werfen.

Man sieht, dass es noch viel zu tun gibt, bis das Schloss wieder mit Leben erfüllt und die barocke Schloss-und Parkanlage für die Öffentlichkeit zugänglich ist.
Ein historischer Ort.
Ein Ort, an dem der Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschen fortgeführt wird.

 

14 Replies to “Schloss Steinort/Sztynort in Masuren – ein Stück Erinnerungskultur”

  1. Dass Ribbentrop der Champagnerhändler ( nomen es omen, ) des Führers Außenminister in Steinort unter den Augen eines der Attentäter mit Familie logiert haben soll, macht den Hausherrn noch interessanter

    1. Lieber Herr Büngel,
      Ribbentrop hatte 1941 sein Feldquartier in einem Flügel des Schlosses eingerichtet. Die Lage in der Nähe von Feldlager Mauerwald mit ausgedehntem Bunkersystem, der elf Kilometer östlich des Ortes befindlichen Feldkommandostelle Hegewald und das 25 km südwestlich liegende Führerhauptquartier Wolfsschanze, wo am 20. Juli 1944 das Attentat auf Hitler stattfand, machten Schloss Steinort zu einem idealen Standort. Die Familie von Lenhdorff bewohnte den anderen Flügel.

      Beste Grüße
      Barbara Habner

  2. Na, zum Glueck ist das alte Schloss noch nicht abgerissen worden oder in Brand gesteckt. Mein Vater war Ostpreusse, da gehoerten einige Rittergutsbesitzer dazu, darunter Schloss Metgethen, Schloss Jaeglack und Schloss Margen. Aus dem fernen Kanada betrachte ich ab und zu, was alles so los ist im ehemaligen Osten, also, viel Glueck wuensche ich diese Leute, die sich an die Arbeit gemacht haben!

    1. Lieber Herr Ochs,
      danke für Ihre Rückmeldung. Ich hoffe, dass die Sanierungsarbeiten in Schloss Steinort/Sztynort inzwischen weiter voran geschritten sind. Aber es wird sicher noch eine Weile dauern, bis das Schloss und die Gärten der Öffentlichkeit wieder zugänglich sind.
      Herzliche Grüße nach Kanada!
      Barbara Habner

  3. Liebe Barbara, ich komme erst jetzt dazu, deinen Beitrag zum 20. Juli und Steinort zu lesen. Das ist wirklich interessant und schon ziemlich umfassend, was du über den Kreis des Widerstands und die familiären Verbindungen herausgefunden hast. Vielleicht kannst du ja der Stiftung, die dort im Hintergrund für den Aufbau arbeitet, einen Hinweis schicken. Jedenfalls erschien mir der Mitarbeiter vor Ort, der ja sich dort sehr ausführlich geäußert hat, an Öffentlichkeit interessiert. Danke für die tolle Aufarbeitung der Bilder zu einem Puzzle der deutschen Geschichte, das heute zum Glück mehr Beachtung findet als lange Jahre nach dem Krieg.

    1. Liebe Helga,
      danke für deine Rückmeldung und deinen Hinweis. Es war eine spontane Entscheidung, den Beitrag zu gestalten, weil mir am 20. Juli erst klar wurde, dass es der 20. Juli war und ich Fotos von Steinort hatte. Ich habe kürzlich in der Mediathek eine Dokumentation über die virtuelle Restaurierung ostpreussischer Schlösser (hauptsächlich die der Dönhoffs und Dohnas) durch eine Gruppe deutscher, polnischer und russischer Experten gesehen. https://www.herder-institut.de/startseite.html und https://youtu.be/c0b9D4kgHwcd

  4. Als ich vor etwa 20 Jahren während einer Schulpartnerschaftsfahrt mit Thorn/Torun auch in Masuren war, kannte kein Mensch diesen Ort. Ein verfallenes Schloß? Das besichtigt man doch nicht., war die Antwort…
    Es ist tröstlich, daß die Bunderegierung – man hat aus Rücksichtnahme auf polnische Befindlichkeiten/Regreßansprüche lange nichts gemacht – nun doch wieder Gelder zur Sicherung des Baus freigegeben hat. Hoffentlich wird daraus noch ein Frieden stiftender Ort für deutsch-polnische Begegnungen!
    Auf das Model Veruschka ist schon hingewiesen worden, aber auch ihre Schwester, die Älteste, soll noch erwähnt werden: Maria-Eleonore ‚Nona‘ war von 1957 bis 1974 mit Jan von Haeften verheiratet, einem Sohn des Widerstandskämpfers Hans Bernd von Haeften. Sie starb als renommierte und exklusiv arbeitende Innenarchitektin auf Mallorca am 19. September 2018.
    Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002) gehörte auch zu den Gästen auf Schloß Steinort.
    Sie war eine Cousine und beste Freundin von ihrem Cousin Heinrich von Lehndorff und seiner Schwester Karin, genannt Sissi (1910–2001). Zeitweilig hatten sie im Austausch gemeinsamen Unterricht bei Hauslehrern und verbrachten ihre Freizeit miteinander.
    Sie beschreibt ihre Jugendzeit und das Schicksal von Steinort und Schloß Friedrichstein, dem Familiensitz, in ihrem Buch: „Namen, die keiner mehr nennt.“ Köln 1986″.
    Damit rückte ihre Geschichte, wohl dank ihrer Popularität und wohl auch im Gegensatz zu Steinort, frühzeitig in den Blick der westdeutschen Öffentlichkeit. Das erklärt auch die umfangreichen Restaurierungsarbeiten, die seitdem in Friedrichstein unternommen wurden.
    Ein weiterer Vetter von Heinrich von Lehndorff war Hans Graf von Lehndorff, der Autor des „Ostpreußischen Tagebuchs 1945–1947″. Als Unterstützer der „Bekennenden Kirche“ stand er unter Bewachung, auch wenn er in den umliegenden Lazaretten notwendige medizinische Hilfe leistete. Er ging 1947 in den Westen und war nach seiner Medizin-Promotion als chirurgischer Leiter einer Privatklinik in Bad Godesberg tätig.
    Er starb 1987.

    1. Liebe Ulrike,
      Chapeau! Sich bei dieser Hitze an den Schreibtisch zu setzen und eine ausführliche Ergänzung zu schreiben. Herzlichen Dank! In meinem Beitrag zum 20. Juli sollte nur Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort im Fokus stehen. Gleichzeitig ist ein Blick auf die Familienmitglieder sehr interessant und lohnend.

  5. Liebe Barbara,
    sehr eindrucksvoll in Wort und Bild zu diesem Jubiläum. Das Model Veruschka aus den 60/70er Jahren ist übrigens mit den ehemaligen Hausherren verwandt.

    1. Lieber Rainer,

      Vera Anna Gottliebe Gräfin von Lehndorff, genannt Veruschka, ist in diesem Jahr 80 geworden. Sie ist die zweitälteste der vier Töchter von Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort und seiner Frau Gottliebe, die in Bad Sachsa interniert waren. Die Schatten der Vergangenheit haben sie nie verlassen.

    1. Lieber Wolfgang,
      danke für deine Rückmeldung. Erst durch Antje Vollmers Buch wurde mir die Bedeutung von Schloss Steinort bewusst und es machte Sinn, den Ort und seine Akteure mit dem Attentat vom 20.Juli zu verknüpfen.
      Liebe Grüße, Barbara

  6. Liebe Barbara, ein weiteres eindrucksvolles Beispiel deines SEHR breiten Reiseportfolios…
    Immer wieder berührende Fotos und informative Kommentare lassen die Betrachterin teilhaben an deinen Erlebnissen und machen auf jeden Fall neugierig auf das Kommende!!

    1. Vielen Dank, liebe Lisa!
      Ich gestehe, es fiel mir erst heute Morgen im Wald ein, dass ich doch zum 20. Juli einen Beitrag veröffentlichen könnte und gleichzeitig einen Einstieg in meine umfassende Polenreise finde.

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