Street Art in Venedig?

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Vermutlich würde kein Mensch auf die Idee kommen, nach Venedig zu fahren, um nach Graffiti bzw. Murals Ausschau zu halten. Ich auch nicht.
Wenn ich mir Street Art anschauen möchte, fahre ich nach Berlin, London, San Francisco oder New York.

Man fährt nach Venedig, um

  • die Lagunenstadt mit ihren Kanälen, Brücken, Palästen und Museen zu bestaunen
  • mit Vaporetti, Wassertaxis oder traditionellen Gondeln zu fahren
  • die einzigartige Architektur zwischen Orient und Okzident zu erleben, denn in Venedigs Architektur treffen unterschiedlichste Epochen und Kulturen aufeinander. Von der eigenwilligen Gotik des Dogenpalast über die Renaissance bis zum Barock. Als mittelalterliche Handelsgroßmacht hat auch die byzantinische Kultur sichtbare Spuren hinterlassen.
  • in einem der berühmtesten Opernhäuser Italiens – dem Teatro La Fenice (italienisch für Phönix) – eine Opernaufführung zu genießen
  • in der Stadt der Masken Karneval zu feiern
  • eine Schifffahrt zu den Laguneninseln Murano und Burano zu unternehmen
  • kulinarische Köstlichkeiten in stilvollem Ambiente vor traumhafter Kulisse zu verspeisen.

Da ich mich aber sehr für Street Art interessiere, habe ich darauf geachtet und im Vorbeigehen das eine oder andere Graffito mit der Kamera eingefangen.

Peggy Guggenheim von LeDiesis

Sammlerin und Mäzenin Peggy Guggenheim war eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Kunstwelt im 20. Jahrhundert. Nach außen hin stark und selbstbewusst, führte sie ein turbulentes Leben, erfüllt von ihrer Liebe zur Kunst und zu ihren Haustieren.

I look back on my life with great joy. I think it was a very successful life. I always did what I wanted and never cared what anyone thought. Women’s lib? I was a liberated woman long before there was a name for it.

Peggy Guggenheim

Ihr buntes Leben und der eindrucksvolle Kunstgeschmack weiteten sich mit einer Brille auf die Garderobe aus. Das prägnanteste Modell, das zum Bestandteil ihrer späteren Garderobe in Venedig wurde, hatte ihr Künstlerfreund Edward Melcarth eigens für Peggy Guggenheim entworfen. Es war eine Sonnenbrille in der Form eines Schmetterlings. 

Genau diese drei Aspekte – die erfolgreiche, unabhängige Kunstsammlerin, die modebewusste Exzentrikerin und ihre Brille und ihre Liebe zu ihren Hunden – stellen die beiden Street Art Künstlerinnen Le Diesis in ihrem Mural an einer Wand unweit der Peggy Guggenheim Collection dar.

[…] Our desire for change determines our painting and dictates the choice of our protagonists: 
free and enlightened women who send a positive message of personal growth facilitating the spiritual growth of our societies. Each heroine has left a heritage in her particular field, an example to follow and thoughts to be remembered, shared and honoured.

All of our superwomen wink at the passers-by who can stop to look at them and establish an intimate, friendly and complicit relationship with them.

zit. nach https://www.guidemeflorence.com/2021/02/15/lediesis-female-street-art-florence/

Dass Peggy Guggenheim mit einem Auge zwinkert, wie es alle anderen Wandbilder von LeDiesis tun, kann man leider hinter der Sonnenbrille nicht erkennen.

Zu Peggy Guggenheims Brille und den Hunden in den Armen kommt die eindeutige Signatur von LeDiesis:
ein Superman T-Shirt, umgewidmet.

Also our choice to paint on their chests the flaming Superman’s S, an iconic symbol of a male superhero, was driven by an impulse.

We wanted to play, overturn and dis-identify the traditional gender roles.

zit. nach https://www.guidemeflorence.com/2021/02/15/lediesis-female-street-art-florence/

Peggy Guggenheim liegt im Garten der Peggy Guggenheim Collection neben ihren Hunden begraben, worauf die schlichten Steinplatten hinweisen.

1942 eröffnete Peggy Guggenheim die The Art of This Century Galerie in New York. Bereits 1948 hatte sie einen eigenen Pavillon auf der Biennale in Venedig. Es war ihr zu verdanken, dass amerikanische Nachkriegskunst Europa erreichte und jeder die Arbeiten von Jackson PollockArshile Gorky und Mark Rothko erleben konnte. Nachdem die Biennale vorbei war, bot sich Peggy Guggenheim die Möglichkeit den direkt am Canal Grande gelegenen Palazzo Venier dei Leoni zu kaufen. Sie griff zu und machte den Palast zu ihrem Wohnsitz und ab 1949 auch zum Standort der Peggy Guggenheim Collection.

Venedig – die Stadt der Liebenden

Das Klischee besagt, dass Venedig die Stadt der Liebenden sei und dazu gehört unumstößlich eine Gondelfahrt im romantischen Abendlicht, vielleicht sogar ein Heiratsantrag in einer Gondel?
Jedenfalls lebt Venedig von diesem Klischee, wie vermutlich Paris als die andere Stadt der Liebe auch.

Der Graffitikünstler/die Graffitikünstlerin hebt genau darauf ab, indem er/sie flammende Herzen in einer Gondel darstellt, die von einem Gondoliere mit typisch gestreiftem Hemd und Strohhut durch den Canal Grande navigiert wird.
Ich finde das Wandbild zwar kitschig, aber auch irgendwie witzig!

Peggy Guggenheim hielt Venedig für Verliebte übrigens für völlig ungeeignet:

It is always assumed that Venice is the ideal place for a honeymoon. This is a grave error. To live in Venice or even to visit it means that you fall in love with the city itself. There is nothing left over in your heart for anyone else.”

Peggy Guggenheim

Und Elke Heidenreich äußert sich in ähnlicher Weise:

Viermal war ich bisher in Venedig. Dreimal waren es, über 25 Jahre verteilt, „Liebesreisen“, wie es sich, dachte ich, für Venedig gehört.
Und jetzt, das vierte Mal, war es eine Arbeitsreise. einen großen Teil des Tages war ich zum ersten Mal in Venedig allein. Keine Hand, die meine hielt, kein Arm-in-Arm- durch-die-Gassen-Schlendern, keine tiefen Blicke, kein gemeinsamer caffè im „Florian“, keine Gespräche über uns, die Gefühle, die Leidenschaften, die Zukunft, die Vergangenheit. Ich war allein mit Venedig. Und zum ersten Mal hat diese Stadt zu mir gesprochen, zum ersten Mal hat sie mein Herz wirklich erreicht. 

Elke Heidenreich in Brigitte 07/05

Ich denke, dass man sich eher auf eine Stadt einlässt und sie im Gegenzug ihre Schätze und Eigenheiten offenbart, wenn man sie allein erkundet. Ich mache das sehr gerne, wenn ich eine für mich neue Stadt entdecke. Der Fokus liegt dann ganz auf der Wirkung der Stadt auf mich. Das ist viel aufregender und erlebnisreicher als zu zweit (ob verliebt oder nicht), wo der Fokus auf der anderen Person liegt. Beide Varianten haben ihren Reiz.

#No Banksy

Tatsächlich gibt es den Hashtag #nobanksy auf Instagram, wo sich Street Art, die dem Stil von Banksy ähnelt, gepostet wird.

Mich hat dieses Mural an einer Mauer am Canal Grande an Banksy erinnert, weil es eine kritische Botschaft in eine Alltagsszene verpackt .
Der erstaunte – vielleicht auch erschrockene – Ausruf des Kindes

Dad, there’s a monster!

fasst die Problematik der Kreuzfahrtschiffe in der Lagune von Venedig in einem Wort zusammen:
Ein Kreuzfahrtschiff ist ein Ungeheuer, das sich durch Größe, Stärke oder auch Hässlichkeit hervorhebt und furchterregend wirkt. 

Anwohner, Kultur- und Umweltschützer klagen schon lange über Schäden, die die Riesenschiffe anrichten: 
Sie gefährden das ökologische Gleichgewicht in der Lagune, können historische Gebäude beschädigen und stoßen Schadstoffe aus. Außerdem spucken sie noch mehr Touristenmassen in der Stadt aus, die sowieso schon vom Ansturm überfordert ist.

Seit 01. August 2021 gilt ein Verbot für Kreuzfahrtschiffe mit mehr als 25.000 Bruttoregistertonnen oder einer Länge über 180 Metern und mehr als 35 Metern Höhe, in die Altstadt hineinzufahren. Auch für Schiffe, die gewisse Abgasnormen überschreiten, gilt diese Regelung.
Stefano Micheletti, Sprecher der Bürgerinitiative mit dem Namen No Grandi Navi (Keine großen Schiffe), ist trotzdem nur halb zufrieden, denn das Problem sei nur dann gelöst, wenn die Kreuzfahrtschiffe komplett aus der Lagune von Venedig verbannt würden – und nicht nur aus dem Stadtzentrum.
Die Schiffe dürfen nämlich weiterhin in die Lagune hineinfahren und dann, etwas weiter von der Altstadt weg, Richtung Industriehafen. Der soll jetzt für mehr als 150 Millionen Euro aufgerüstet werden.

Mit seiner Collage Venice in Oil vom Mai 2019 bestehend aus neun Ölgemälden setzt Banksy klassische Szenen von Canaletto von der Rialtobrücke, dem Canal Grande und San Giorgio Maggiore mit Gondolieren in den Vordergrund.
Sie werden von einem riesigen Kreuzfahrtschiff, das sich über die gesamte Fläche erstreckt, geradezu erdrückt.
Eine Kritik an der Umweltverschmutzung durch Schifffahrt und Tourismus, was auch durch das Wortspiel des Titels gut zum Ausdruck kommt.
Und hier passt der Ausruf des Kindes perfekt: Dad, there’s a monster!

Blub – L‘ arte sa nuotare

Blub ist ein*e bisher anonyme*r Künstler*in aus Florenz, der/sie 2013 mit der Serie L’arte sa nuotare – Die Kunst kann schwimmen – begann und mittlerweile berühmt geworden ist.
Die Serie zeigt zumeist Figuren in der Tradition der italienischen Renaissance (Leonardo, Tizian, Raffael, Botticelli), aber auch bekannte Künstler*innen.

nach: La Belle Ferronnière von Leonardo Da Vinci

Blub holt die Kunstwerke aus den Museen heraus auf die Strasse und hängt sie als quadratische Plakate an Hauswände. Oft in Türeingänge oder an Stellen, die den Figuren einen natürlichen Rahmen geben, um damit den Bezug zum Original zu verstärken.

Salvador Dali

Allerdings steht allen seinen/ihren Figuren das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Zu erkennen an dem blauen Hintergrund, den Wasserbläschen und Blubs Signatur – der Taucherbrille. Damit sind alle Figuren ausgestattet.
Nicht schwer, darin eine Metapher für die kulturelle Kraft der Kunst zu erkennen, die durch alle Schwierigkeiten überleben (-schwimmen) kann und ein Bollwerk unserer Gesellschaft darstellt.

L’arte sa nuotare, meaning art knows how to swim, is about two ways one can live life, like eros and love or life and death. We can choose to be stuck with fear due to the crisis or we can choose to take it as an opportunity to overcome our limitations while being confident in the future and in our potential. So, even though it seems like we are all underwater it is time to learn how to swim!

Blub in einem Interview mit Tiana Kai
nach: Wandgemälde aus Pompej

Mir gefällt diese Art der Verfremdung, der andere Blick, die andere Würdigung der klassischen Kunstwerke. Und ich musste unweigerlich lächeln und habe mich gefreut.

Libreria Acqua Alta

In der Libreria Acqua Alta – ein must-see von Venedig für jeden Bücherfreund – fand ich in dem mit Büchern vollgestopften Hof ein großes pinkfarbenes Herz auf türkisem Grund. Die Farben hatten es mir sofort angetan.

Und mit diesem farbenfrohen Herz wünsche ich euch ein sonniges, frohes Osterfest!

Mehr zu Banksy und Street Art findet ihr in diesen Beiträgen – Einfach die Fotos anklicken!

East Side Gallery Berlin
Mauerkunst in Bethlehem
Mural am Eingang zur Falls Road

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Logo-turquoise-fuchsia-1024x886.jpeg

8 Replies to “Street Art in Venedig?”

  1. Liebe Barbara,

    Venedig von einer ganz anderen Seite, bei der ein (wahrer?!) Kern der Klischees herausgefiltert wird und die Stadt regelrecht neu präsentiert wird.
    Danke für diese tollen Einblicke.
    Wenn ich in einmal in Venedig bin, werde ich deinen Beitrag als Guide nutzen.
    Beste Grüße
    Daniel

    1. Lieber Daniel,

      Street Art in Venedig zu entdecken, war für mich unerwartet und daher sehr überraschend. Aber die humorvollen Beispiele, die ich zufällig gefunden habe, passen gut in die Stadt hinein. Bei meinem nächsten Venedig Besuch werde ich meine Augen auch in diese Richtung weit öffnen.
      Liebe Grüße
      Barbara

  2. Liebe Barbara,
    wieder ein total interessanter Beitrag. Eine Verbindung des manchmal vielleicht etwas klischeehaften Bildes von Venedig und der Street-art-Kunst mit ihren oft politischen Aussagen erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Aber Deine Beispiele zeigen, mindestens auf den zweiten Blick. Die Collage von Banksy ist insoweit besonders eindrucksvoll. Vielen Dank – besonders auch für die schönen Fotos mit den traditionellen Motiven!
    Liebe Grüße
    Rainer

    1. Lieber Rainer,

      danke für deine Rückmeldung. Ich mag gerne Street Art in der Verbindung von politischer Aussage und Humor. Das gefällt mir bei Blub so gut. Er gibt seinen Figuren unter Wasser und mit Taucherbrille eine Leichtigkeit und Qualität als Lebenskünstler*innen wie die Originale sie nicht ausstrahlen können. Es war sehr überraschend für mich, überhaupt auf Street Art in Venedig zu stoßen. Um so größer war mein Vergnügen.
      Liebe Grüße
      Barbara

  3. Liebe Barbara,
    ich war tatsächlich in Venedig, als ich frisch verliebt war und mich hat damals von der Stadt tatsächlich wenig beeindruckt. Trotzdem habe ich schon lange den Wunsch in die Stadt zurück zu kommen und sie mit meinen fotografischen Augen neu zu entdecken. Dein faszinierender Beitrag bestärkt mich darin, es auch wirklich zu tun..!
    Vielen Dank für deinen besonderen Blick auf Venedig und viele Grüße Ulrika

    1. Sehr gerne, liebe Ulrika!

      Danke für deine Rückmeldung und Offenheit. Venedig zur Winterzeit, dann wenn keine Touristenströme die Stadt überfluten, ist wunderschön, und ich kann dich in deinem Wunsch nur bestärken, die Stadt neu zu entdecken!

      Liebe Grüße
      Barbara

  4. Ich bin, eigentlich wie immer, aber diesmal besonders „ge-flashed“ von der anderen Sicht auf Venedig – eine Bereicherung! Dafür ein ganz großes Dankeschön, liebe Barbara – und wenn es ginge – ein dickes Osterei! (Vielleicht demnächst!)
    Dein Bericht hat mir gezeigt, wie wenig ich doch eigentlich bisher von Venedig gesehen habe; ein zweimaliger Aufenthalt ist ja auch nix! Peggy Guggenheim, die Nonkonformistin, hat mich immer schon fasziniert ob ihrer Zivilcourage.
    Beim nächsten Mal in Venedig (versprochen!) werde ich genauer hinschauen und dabei auf Deinen Spuren wandeln, um diese verborgenen Street-Art-Kunst-Schätze zu finden, die Du so eindrücklich versammelt hast.
    Und darauf freue ich mich!!!!

    1. Liebe Ulrike,

      danke für deine Rückmeldung!
      Ich war selbst erstaunt, als ich vor der Libreria Acqua Alta ein Poster von Blub entdeckte. Ich kannte sie/ihn bis dahin noch nicht, finde aber ihre/seine Serie „L’arte sa nuotare“ bemerkenswert. Ebenso LeDiesis. Ich kam gerade aus der Peggy Guggenheim Collection frisch mit meinen Eindrücken um die Ecke und sah das Wandbild mit dem charakteristischen Superman T-Shirt. Wirklich eine bereichernde Facette von Venedig. Ich schätze, man kann nicht oft genug nach Venedig (oder eine andere interessante Stadt) fahren, und wird immer wieder Unerwartetes entdecken.
      Das macht ja den Reiz von Reisen aus!

      Liebe Grüße
      Barbara

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