Le Baiser – Der Kuss: Die East Side Gallery in Berlin

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Es ist ein scheinheiliger Kuss, nicht weil zwei alte Männer sich küssen, sondern weil diese beiden alten Männer sich küssen:
Leonid Breschnew und Erich Honecker.
Denn ich kann die beiden Herren nicht von der Politik, für die sie standen, trennen.
Unter sozialistischen Politikern war es ein Begrüßungsritual, sich bei offiziellen Anlässen und für die Welt sichtbar zu küssen, um Freundschaft, Verbrüderung und Solidarität zwischen den Staaten zu demonstrieren.

Es ist ein widerstrebendes Bild, weil es die beiden Köpfe so nah zeigt, dass man aus seiner Komfortzone herausgerissen zum Voyeur wird. Und das eigentlich nicht will. Es suggeriert einen innigen, langanhaltenden Kuss losgelöst von Zeit und Raum, der es im Kontext der tatsächlichen Situation nicht war.
Honeckers Hautfarbe wirkt grünlich, Breschnews babyrosa. In Schwarz-Weiß wäre das Bild besser zu ertragen.

Bruderkuss im Mauerformat

Der Bruderkuss des russischen Künstlers Dimitry Vrubel  ist das bekannteste Kunstwerk entlang der East Side Gallery und mittlerweile Kult.
Es findet sich auf Ansichtskarten, Kappen, Beuteln, T-Shirts.

Vorlage für sein Mauerbild war  das Schwarz-Weiß Foto des französischen Pressefotografen Régis Bossu vom 7. Oktober 1979  anlässlich der Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der DDR mit dem Titel Le Baiser  (Der Kuss).
Bossu schoss das Foto mit einem Teleobjektiv.

Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überwinden

Diese Bildunterschrift zum Bruderkuss in kyrillischer und lateinischer Schrift möchte ich euch nicht vorenthalten.
Wer sie für einen ironisch- kritischen Interpretationsansatz hält, liegt leider falsch. Laut Vrubels Aussage hat sie – wie das ganze Bild – mehr mit seiner damaligen privaten Beziehungssituation zu tun. Schade eigentlich!

Der Fall der Berliner Mauer –
eine Chance für Kreativität

Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989  zog viele Künstler in die Stadt.
Und konnten bis dahin nur Mauerbilder und Graffitti auf der Westseite der Mauer entstehen, bot sich den Künstlern jetzt die Möglichkeit, ihrer Kreativität gegen graue Tristesse und für Freude und Hoffnung auch auf der Ostseite der Mauer freien Lauf zu lassen.
Die East Side Gallery, ein ehemaliger Mauerabschnitt in der Mühlenstraße zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke ist mit 1,3 km Länge und über 100 originalen Mauerbildern eine der längsten Freiluftgalerien der Welt und Anziehungsmagnet für viele Touristen.

Und da wir vor unserer Polenrundreise am Ostbahnhof übernachtet haben, wollten meine Freundin und ich die East Side Gallery nach langer Zeit mal wieder einen Besuch abstatten.

Im 30. Jahr nach dem Fall der Mauer eine passende Aktion!

12 Replies to “Le Baiser – Der Kuss: Die East Side Gallery in Berlin”

  1. Hallo Barbara,
    als ich an der East Side Gallery war, hat mich das Mauerbild mit der Maueröffnung am meisten beeindruckt. In deiner Fotosammlung ist es wieder so. Danke fürs Teilhaben lassen.

    Viele Grüße Ulrika

    1. Liebe Ulrika,
      sehr gerne! Mein Favorit ist der Trabi, der die Mauer durchbricht. Das hat so viel positive Energie. Aber der stand bei meinem Beitrag nicht im Vordergrund.
      Liebe Grüße Barbara

    1. Touristinnen, die die Pose der zwei Männer auf dem Bild nachstellen. Eine gute Idee. Es war unheimlich voll an der East Side Gallery und ich hatte Mühe, die Mauerbilder ohne Menschentrauben abzulichten. In diesem Fall war es mir aber sehr recht!

  2. Liebe Barbara,

    für mich sind die Bilder „Geschichte“, da ich diese Zeit nicht erlebt habe – umso mehr freut es mich, dass Du nicht nur schöne Bilder darstellst, sondern Geschichtsbewusstsein und Erinnerungskultur förderst, denn Kunst benötigt (auch) historisches Wissen.

    1. Lieber Daniel,
      unbedingt! Danke für deine Bestätigung. Das Bedürfnis nach historischem Kontext spiegelt sich auch in den Kommentaren wider, und ich freue mich darüber. Vielleicht werde ich dem Anspruch des Untertitels meiner Website „Reisen mit offenen Augen“ gerecht?

  3. Liebe Barbara,
    wow – eine sehr interessante Geschichte mit ganz tollen Bildern. Kompliment und Glückwunsch.
    Wenn ich nur auch so viel Zeit zum Reisen und Fotografieren hätte … Bin richtig neidisch, aber Du hast es Dir wirklich verdient Barbara.
    Liebe Grüße
    Pierre

    1. Ich danke dir, lieber Pierre!

      Jessica schrieb mir gerade, dass sie den Fotografen Régis Bossu vor ein paar Wochen kennengelernt und ihn fotografiert hat. Ich hoffe, dass sie darüber noch berichten wird.

  4. Ich bin immer wieder entsetzt, wie gründlich die Mauer aus dem Berliner Stadtbild getilgt wurde, unsere Generation hat sie gesehen, die geteilte Stadt von beiden Seiten erlebt. Das Alles kann heute nur noch berichtet werden…
    Es ist fantastisch, was aus dem geteilten Berlin wurde, jedoch sollte die Vergangenheit als Mahnung an alle Kommenden deutlicher sichtbar sein, leider zu spät!

    1. Ich verstehe dich und teile deinen Standpunkt.
      Ich finde, dass die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Strasse eindrucksvoll ist und das Panorama zum geteilten Berlin des Künstlers Yadegar Asisi in einem Rundbau am Checkpoint Charlie das Leben auf beiden Seiten der Mauer realistisch darstellt. Aber wie mit allen historischen Zeugnissen: man muss sich dafür interessieren, um sie zu entdecken. Und man kann Berlin als historische Fundgrube erfahren oder als Partymeile. Beides scheint mir legitim.

  5. Liebe Barbara,
    wieder total ausdrucksstarke Bilder! Vor etlichen Jahren war ich auf einer Dienstreise mal kurz da. Für uns, die wir das geteilte Deutschland, den Kalten Krieg und den Ost-West Konflikt noch sehr bewusst miterlebt haben, ist diese Galerie mehr als nur ein „hippes“ Kunstwerk.

    1. Lieber Rainer,
      da hast du recht. Gleichzeitig denke ich, dass die East Side Gallery nicht vermitteln kann, was die Teilung dieser Stadt durch Mauern und Stacheldraht für die Menschen bedeutet hat. Was für eine perfide Idee des damaligen DDR-Staates. Ich habe auch noch Ulbrichts Fistelstimme im Ohr, wie er am 15. Juni 1961 sagte: “ Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“. Die Lüge des Jahrzehnts!

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