Gleich an unserem ersten Tag in Florenz sind wir von der Piazza Santa Croce, wo wir ein paar Schritte entfernt unser Apartment hatten, in den Borgo dei Greci gebogen, wo am Seitenfenster der Osteria San Fiorenzo dieser Hinweis gegeben wurde.

Die einladende Osteria San Fiorenzo mit Außenbestuhlung hat gleich neben ihrem Eingang ein kleines Loch in der Wand mit einer bogenförmigen Öffnung am oberen Ende.
Diese Weinlöcher oder schöner Weinfenster befinden sich im Erdgeschoss der Hauptfassade von Gebäuden, meist neben dem Haupteingang wie bei der Osteria San Fiorenzo.
Dort standen Kunden, die sich ein Glas Wein bestellten und das Loch in der Wand diente als Durchreiche.
Um auf sich aufmerksam zu machen, gibt es hier eine Tischglocke.
Und für alle Besucher war es eine Mordsgaudi.
Wir haben uns das Schauspiel amüsiert angeschaut und uns vorgenommen, da auch einmal zu stehen.



Weinfenster können aber auch in eine Holztür eingearbeitet sein, wie in der Buchetta del Duomo mit Blick auf den eindrucksvollen Dom. In dieser Buchetta benutzt man einen Türklopfer, um auf sich aufmerksam zu machen.



Gemeinsam ist den Weinfenstern, dass die älteren alle ungefähr 30×20 cm Durchmesser haben, gerade groß genug, um die ursprünglichen Chiantiflaschen durchzureichen.
Weinhandel in Florenz im Mittelalter
Winzer, Händler und Weinverkäufer haben beriets 1288 eine Gilde gegründet – die Arte dei Vinattieri -, der auch führende Familien aus Florenz, die sich dem Weinhandel verschrieben hatten, beigetreten sind.
Sie kontrollierten jeden Aspekt des Weinhandels, sowie Öffnungszeiten, Preisgestaltung, den Abstand einer Taverne von der nächsten Kirche und sie erließen ein Verbot des Verkaufs von salzigen Speisen zum Wein, weil diese Speisen als Durstanreger angesehen wurden und deshalb als betrügerisch galten.
Es entwickelte sich ein ausgeprägtes Erzeuger-Verbraucher Modell, weil Wein aus dem eigenen Weinkeller seit Mitte des 16. Jahrhunderts durch Cosimo I de’Medici nicht den hohen Steuern unterlag wie Wein von außerhalb der Stadtmauern, sondern dass der direkte Verkauf völlig steuerfrei war.

Oberer Teil einer Collage von Robbin Gheesling
Das war die Geburtsstunde der Weinfenster! Sie garantierte den reichen Familien ihr Bedürfnis nach Sicherheit und Privatsphäre und dem Konsumenten die Nähe zur Nobilität.
Selbst das Spedale degli Innocenti unterhielt einen lebhaften Weinhandel mit einem Weinberg im Innenhof. Neben dem Verkauf war der Wein eine wichtige Kalorienquelle für die Ernährung der Kinder und ihrer Betreuer.
Weinfenster retten den direkten Weinverkauf in Zeiten der Pest
In seinem Bericht zur Ansteckung in Florenz in den Jahren 1630 und 1633 erzählt der Florentiner Gelehrte Francesco Rondinelli, dass ganz Europa in zwei Wellen durch diese schreckliche Epidemie heimgesucht wurde. Zu dieser Zeit verkaufte man seinen Wein direkt aus den Palazzi heraus.
Um Ansteckung durch den Kontakt mit den Käufern zu vermeiden, erhielt man die Bezahlung nicht direkt auf die Hand, sondern in eine Kelle aus Metall. Diese wurde im Anschluss sofort zur Desinfektion in Essig eingelegt.
Außerdem vermieden es die Verkäufer vorsichtshalber, die von den Kunden mitgebrachten Flaschen zu berühren oder einzutauschen.
Le buchette erano progettate per essere pratiche e sicure. Grazie alla loro posizione e dimensione, consentivano di passare bottiglie o fiaschi di vino senza aprire completamente le porte delle abitazioni, un dettaglio importante in tempi in cui la sicurezza era una priorità.
https://www.belledonneosteria.it/2025/01/16/le-buchette-del-vino-a-firenze/


. . . und erleben ein Revival während der Covid-19 Pandemie
Während des ersten Lockdown im Mai 2020, fand eine Reihe von lang vergessenen Weinfenstern wieder ihre Bestimmung. Durch die Weinfenster konnten die Abstandsregelungen und die soziale Distanzierung eingehalten werden.
Und der Verkauf beschränkte sich nicht nur auf Wein, sondern auch auf kleine Speisen, Kaffee und Eis.
Die Gelateria Vivoli ging mit gutem Beispiel voran, gefolgt von weiteren Restaurants wie die Osteria delle Brache, Il Latini, La Chintina oder der Osteria delle Donne.


Dieses System erlebte einen unmittelbaren, überwältigenden Erfolg, und wurde von der Weltpresse gebührend erwähnt.
Es war eine einmalige Gelegenheit für Florenz und die Toskana, die Weinfenster und ihre Geschichte wiederzuentdecken und mit dem Rest der Welt zu teilen.
Chiantiflaschen und ihre Rezeption in Deutschland
Die Korbflasche (flasco/fiasco) steht wie kaum ein anderes Symbol als Synonym für italienischen Wein.
Die besondere, runde Form der Flasche, liegt in der Historie begründet.
Wein wurde früher in Tonkrügen gelagert und später mit dem Aufkommen von Glas vermehrt in Glasgefäßen transportiert.
Um das empfindliche Gut vor dem Zerbrechen zu schützen, umwickelten Flaschenflechterinnen (le impagliatrici) bis in die 1950er Jahre die Gefäße mit Stroh oder Sumpfgras. Danach wurde zur Erzeugung und zur Einflechtung der fiasci immer mehr auf Maschinen gesetzt.

le impagliatrici al lavoro

Die Fiasco hielt einst Einzug in die Literatur (Dichter Boccaccio erwähnte sie in seinem Decamerone) und Kunst (Maler wie Botticelli und Ghirlandaio bildeten sie in ihren Werken ab).

Domenico Ghirlandaio, Nascita di san giovanni battista. Capella Tornabuoni, Basilica di Santa Maria Novella, Firence
Im Rahmen des Wirtschaftswunders in Deutschland wurde 1955 ein Anwerbeabkommen mit Italien abgeschlossen, um Arbeitskräfte aus Italien zu rekrutieren.
Das Anwerbeabkommen war eine Reaktion auf den hohen Arbeitskräftebedarf in Deutschland, insbesondere in Branchen wie dem Bergbau und der Industrie.
Der Begriff Gastarbeiter impliziert, dass die Arbeitskräfte nur für eine befristete Zeit kommen sollen. Mit Gastfreundschaft hingegen werden die Ausländer oft nicht empfangen. Vorurteile und Überlegenheitsgefühl auf deutscher Seite waren gängig.
Gleichzeitig war die Zuwanderung italienischer Gastarbeiter nach Deutschland ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte und prägte die Entwicklung der Bundesrepublik maßgeblich mit.

Bild: Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück
Andererseits wurde Italien für die Deutschen der 50er und 60er Jahre das Land der Sehnsucht.
Es wurden Schlager gesungen, wie zum Beispiel Die Caprifischer oder O mia bella Napoli, und die deutschen Hörer träumten sich Richtung Süden. Sommer, Sonne, Strand und Meer.
All das verkörperte das Reiseland Italien.
Die Chianti-Flasche wurde zum beliebtesten Souvenir deutscher Urlauber.
So konnten sie ihre Italiensehnsucht in Flaschen abgefüllt als Souvenir mit nach Hause bringen.
Und wenn sie leer getrunken waren, steckte man eine mehrfarbige Tropfkerze hinein, die auf keiner Party fehlen durfte.
Wie die Chiantiflasche für den Gastarbeiter im Foto ein Stück vertraute Heimat symbolisierte, symbolisierte sie für deutsche Touristen damals den Charme Italiens und eine verklärende Nostalgie.

Buchette del Vino – Associazione Culturale di Firenze (2015)
Im Oktober 2015 beschlossen drei langjährige Florentiner, Matteo Faglia, Diletta Corsini und Mary Christine Forrest, einen Kulturverein (Buchette del Vino) zu gründen, um auf eines der eigenartigsten, aber interessantesten architektonischen Details dieser großartigen Kunststadt aufmerksam zu machen.
Ihre Aufgaben umfassen die historische Dokumentation, Bewertung, Erhaltung und Restaurierung der bestehenden Weinfenster.
Darüber hinaus organisieren sie kulturelle Veranstaltungen wie Vorträge, Filme oder Führungen.
Sie widmen sich der Veröffentlichung von Büchern, Fotogalerien und interaktiven Karten.
https://www.google.com/maps/d/embed?mid=1nFk3p6ViY7MWofNJQdbWJowuMfHDCjh5&ehbc=2E312F

Streetart und Buchette del Vino
Nicht mehr genutzte Buchette del Vino eignen sich hervorragend für street art, weil sie auf gut sichtbarer Höhe liegen und dem Bild einen natürlichen Rahmen geben.
So, wie es der Florentiner Street Artist Blub z. B. gerne macht.
Ich habe seine kleinen Murals aus der Serie L’arte sa nuotare ( Die Kunst kann schwimmen) in Venedig und Siena kennengelernt.



Blubs Figuren steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals.
Zu erkennen an dem blauen Hintergrund, den Wasserbläschen und Blubs Signatur – der Taucherbrille.
Damit sind alle Figuren ausgestattet.
Nicht schwer, darin eine Metapher für die kulturelle Kraft der Kunst zu erkennen, die durch alle Schwierigkeiten überleben (-schwimmen) kann und ein Bollwerk unserer Gesellschaft darstellt.
Eine Mut machende Botschaft!
Aktive Buchette del Vino
Michelle Altenberg macht in ihrem Buch 11 aktive Buchette del Vino aus (Stand 2024) und hat dazu auch einen virtuellen Rundgang erstellt.
https://goo.gl/maps/taANzXWMen2Sg481A
In ihrem Buch sowie auf ihrer Website beschreibt sie ausführlich die einzelnen Lokalitäten und ihre persönlichen Vorlieben.
Neben der von mir eingangs genannten Osteria San Fiorenzo und der Buchetta del Duomo (Fotos siehe oben!) gibt es noch ein Weinfenster im Giunti Odeon (Kino, Bibliothek und Restaurant)
der Cantina de‘ Pucci


Babae (@babaefirenze)








Literatur
Ich habe für meinen Beitrag neben Informationen aus dem Internet von drei neuen Publikationen über die Buchette del Vino profitiert, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen, sich gleichzeitig wunderbar ergänzen.
Robin Gheesling, Wine doors of Florence (2019)

Die Fotografin präsentiert in ihrem Buch eine Vielzahl von florentinschen Weinfenstern in künstlerisch-atmosphärischer Dichte.
Ein Foto-Buch, das man immer wieder zur Hand nehmen kann.
Diletta Corsini – Lucrezia Giordano, Wine Windows in Florence and Tuscany (2021)

Die beiden Kunsthistorikerinnen bieten eine fundierte, vielseitige und sehr anschauliche Aufarbeitung der Geschichte der Buchette del Vino – reich bebildert und mit einem reichhaltigen Quellen-und Literaturverzeichnis versehen.
Ein Standardwerk zum Thema Buchette del Vino.
Michelle Altenberg, The Modern Traveler’s Guide to Wine Windows in Florence (2025)

Wie der Titel schon sagt, hat Michelle Altenberg, Schriftstellerin, einen kleinen, handlichen Führer zu den Weinfenstern von Florenz geschrieben.
Er ist sehr praxisorientiert mit Karten, Adressen und darüber hinaus Wissenswertem zu Florenz. Ohne den historischen Anteil zu vernachlässigen.
Das Büchlein lässt sich bequem in Handtasche oder Rucksack verstauen für Unterwegs.
Dank
Wie schon eingangs erwähnt, sind wir gleich am ersten Abend in Florenz über das Weinfenster der Osteria San Fiorenzo gestolpert und die Neugier über diese historische Kuriosität hatte mich gepackt.
Es hat sich dann ergeben, dass wir bei Charles Biagioni, der mit uns die Koversationsstunden am l’Istituto Michelangelo abhielt, den Auftrag erhielten, eine kleine Präsentation zu einem typisch florentinischen Thema zu halten.
Das war für mich die erste Auseinandersetzung mit dem Thema Buchette del Vino und mein Entschluss war gefasst, das Thema in einem Beitrag zu vertiefen und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Vorrei anche ringraziare Charles Biagioni, che mi a dato l’opportunità di tenere una breve presentazione sulle Buchette del Vino durante il mio soggiorno linguistico presso l’Istituto Michelangelo di Firenze.
Grazie mille!

unterer Teil einer Collage von Robbin Gheesling

Thank you for including me in this very thorough and thoughtful explanation of Florence’s wine windows! I especially loved learning about the popularity of Chianti bottles among German tourists. 🙂
Dear Michelle,
thank you for your feedback. I profited from your book on wine windows and am glad that I could offer you some insight into the Germans‘ longing for Italy in the 60s, symbolized by the traditional Chianti bottle.
Kind regards,
Barbara
Liebe Barbara,
Ich wusste weder, dass es Weinfenster gibt noch, was sie bedeuten. Einerseits wirken sie ein bisschen kurios, andererseits erfüllten und erfüllen sie bis heute ganz praktische Bedürfnisse. Ein toller Bericht über ein Thema, das mehr Aufmerksamkeit verdient und das nicht nur von Weintrinkern.
Liebe Grüße Rainer
Lieber Rainer,
danke für deine Rückmeldung.
In meinem dicken Reiseführer gibt es auch nur das Stichwort Wein, nicht aber Weinfenster. Obwohl das eine sehr typische Einrichtung für Florenz ist und auch recht außergewöhnlich.
Jedenfalls solltest du bei einer nächsten Reise nach Florenz darauf achten. Sie sind nicht zu übersehen!
Liebe Grüße
Barbara
Liebe Barbara,
am liebsten würde ich morgen schon wieder mal nach Florenz aufbrechen, schließlich hatte ich diese kleinen Weinfenster noch nie wahrgenommen – welch ein Fehler! Dank Deiner sorgfältigen Vorarbeit denke ich, dass ich es auch mal allein wagen könnte, auf Spurensuche zu gehen. Danke für diesen wundervollen und interessanten Beitrag!
Liebe Ulrike,
danke für deine prompte Rückmeldung!
Florenz ist so oder so eine Reise wert, aber diese charmanten Weinfenster aus dem Spätmittelalter, in Vergessenheit geraten und während der Corona Pandemie wieder entdeckt, sind lebendige Geschichte zum Anfassen und Trinken! Also, mach dich auf und mache „Weinfenster-Hopping“.
Liebe Grüße
Barbara