Ausstellung Survivors auf Zollverein

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Von Yad Vashem nach Zollverein

Auf unserer Israel/Palästina Reise im Februar besuchten wir die Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

Nach unserem Rundgang wollten wir unsere Audio Guides abgeben.

Da ist doch die Frau aus der Sendung,

 sagte Maria. Und sie erzählte uns von einem Fernsehbericht über die Ausstellung Survivors, wo Berthe Badehi, eine der Überlebenden, zu Wort kam.
Wir gingen an den Infoschalter, kamen mit Frau Badehi ins Gespräch und haben auf ihre Initiative ein Foto mit ihr zusammen gemacht.
Berthe Badehi steht täglich am Info-Schalter in Yad Vashem, um über den Holocaust aufzuklären und ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Uns hat ihre Lebendigkeit, ihr Strahlen und ihre Herzlichkeit begeistert!
Vielen Dank, Frau Badehi!

Für mich war klar: Die Ausstellung möchte ich mir anschauen!
Doch dann kam Corona und ich musste abwarten, bis Zollverein seine Tore wieder öffnet.

Zollverein als Ausstellungsort

Die Zeche Zollverein ist heute ein Architektur- und Industriedenkmal. Sie war von 1851 bis 1986 ein aktives Steinkohlebergwerk in Essen. Benannt  nach dem 1834 gegründeten Deutschen Zollverein, einem wirkmächtigen Zusammenschluss von Staaten des Deutschen Bundes für den Bereich der Zoll- und Handelspolitik.
Die Zollverein-Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer setzten 1932 mit der Schachtanlage Zollverein XII neue architektonische Maßstäbe, die wegweisend für die Industriearchitektur nachfolgender Generationen wurden. Das Wahrzeichen  des Doppelbocks (s.Foto unten) ist Inbegriff der neuen Sachlichkeit.

Die  im Sinne der Bauhaus-Architektur gestalteten Stahlfachwerkgebäude von Schacht XII brachten Zollverein den Ruf als schönste Zeche der Welt ein. Durchgestaltet bis in die Details der Lampen, Treppengeländer und Lichtmasten ist der komplett erhaltene Komplex von Zeche und Kokerei Zollverein ein Gesamtkunstwerk und repräsentiert exemplarisch die soziale, ökonomische, ästhetische und industrielle Geschichte des Kohle- und Stahlzeitalters. Im Dezember 2001 wurden Zeche und Kokerei in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen.

Die Räume der Kokerei sind sehr geeignet, um Portraits auszustellen. Hier wird der Betrachter nicht abgelenkt. Nur nackte, grobe, hohe Wände. Einen Lichtschimmer bieten Lichtschächte.
Das Augenmerk liegt auf der Ausleuchtung der Portraits. Eine perfekte Choreographie, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Gleichzeitig gewähren die offenen Räume immer wieder Rückblicke auf bereits betrachtete Portraits, die sich in Erinnerung rufen und einen begleiten, bevor man sich dem nächsten zuwendet.

Der Anlass der Ausstellung

Der 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau ist Anlass für die Ausstellung von 75 Portraits von Holocaust Überlebenden, die der anerkannte Fotograf Martin Schoeller geschaffen hat. Sie stellt 75  Lebensgeschichten vor, Facetten der monströsen, geschichtlich präzedenzlosen Verbrechen in der Menschheitsgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Das Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen der Yad Vashem- Internationale Holocaust Gedenkstätte, Martin Schoeller und der Stiftung für Kunst und Kultur e.V. Bonn. Veranstalter ist außerdem das Ruhr Museum und die Stiftung Zollverein.

Survivors – Faces of Life after the Holocaust

Meine Begegnung mit den Portraits

Ich stehe jedem Portrait gegenüber: Das Gesicht ist der Mittelpunkt. Es ist überlebensgroß, extrem detailliert,
an die Schmerzgrenze nah. Die Personen schauen direkt in die Kamera und schauen mich, den Betrachter, ebenso direkt an.  Es entsteht ein intimer Moment. Ich bin allein mit einem Gesicht, ohne Kontext, ohne Hintergrund. Es ist einfach da. Ich trete in Dialog mit der Person im Bild, gezeichnet von den tragischen Erinnerungen und gleichzeitig entschlossen, dem Leben Hoffnung zu geben.

Informationstafeln und Botschaften

Unter den Portraits sind kleine Informationstafeln angebracht mit Geburtsdatum und -ort und einer kurzen Information darüber, wo und wie die Personen den Holocaust überlebt haben.

Darunter ihre Botschaft für die nachkommende Generation.

Die Botschaften richten sich gegen das Vergessen, beschwören den Ruf Nie wieder, sehen den Staat Israel als Zufluchtsort und mahnen, die jüdische Identität zu bewahren.
Sie sind ein Appell an Menschlichkeit, Respekt und Achtung voreinander.
Und eine Aufforderung zum Leben, zum Gestalten, zum Einsatz für den Frieden.

Ich habe mir lange die einzelnen Gesichter angeschaut und auf mich wirken lassen und dann noch einmal in Verbindung zu der jeweiligen Botschaft, was die Gesichter wiederum in einer anderen Perspektive erscheinen ließ.

Herkunft, Schicksal und gewonnenes Leben

Viele der Portraitierten kommen aus  Polen, Ungarn, Russland oder Italien, Griechenland, den Niederlanden, Deutschland.
Einige konnten  direkt aus Auschwitz-Birkenau entkommen oder wurden befreit, andere haben eine Odyssee durch mehrere KZs und Vernichtungslager hinter sich. Besonders betroffen haben mich diejenigen, die in einem Massengrab überlebt haben und nicht entdeckt wurden. Einige wurden von Christen versteckt und konnten so überleben.

Wie kann man mit solchen Erfahrungen sein Leben neu gestalten? Das ist für mich kaum vorstellbar.
Und dennoch gelingt es diesen Menschen,  ihr Leben zurück zu gewinnen und neu aufzubauen. Sie gründen Familien, einige beteiligten sich am Kampf um die Gründung des Staates Israel und bringen sich – wie Berthe Badehi – aktiv in der Gesellschaft in Israel oder anderen Ländern, in die sie zurück gingen, ein.

Aliza Landau (*1938)

Es ist menschenmöglich, durch die Hölle zu gehen und ein normaler Mensch zu bleiben, der sich in die Gesellschaft, in der er lebt, einbringen kann.
Der Mensch hat die Wahl zu entscheiden, wie er sein Leben leben möchte. Man kann entscheiden, sein Leben zu verschwenden, oder man kann entscheiden, ein zielgerichtetes, sinnerfülltes Leben zu führen.

 

Dov Landau (*1928) (nicht verwandt mit Aliza Landau)

Das wichtigste ist, ein mensch, eine anständige Person zu sein. […] Eine liebenswerte Person mit einem liebenden Herz. […]
Nachdem ich den Holocaust überlebt hatte,
baute ich mir eine neue Familie und ein neues Leben auf. Diejenigen von uns, die überlebten, sollten künftigen Generationen als Beispiel dienen.
Trotz allem, was wir erlitten haben, halfen wir einander
und bauten unser Leben von neuem auf.

Ein Einblick

Ich biete euch eine Auswahl an Portraits an, die den Besuch der Ausstellung keinesfalls ersetzen, sondern dazu ermutigen sollen. Die Erfahrung mit den Originalportraits in den Räumen der Kokerei auf Zollverein kann ich im Format Website nicht angemessen wiedergeben.
Wenn man über die Einzelportraits mit der Maus fährt, sieht man die Namen und Geburtsdaten der Portraitierten. Es lohnt sich darüber hinaus, die Einzelportraits anzuklicken. Dahinter verbirgt sich jeweils eine Kurzbiografie der portraitierten Person.

Berthe Badehi spricht über ihre Erinnerungen an die Nazizeit.

Der Fotograf

Martin Schoeller ist ein weltweit renommierter Portraitfotograf.
Ich kannte seine Arbeiten von der  Ausstellung Portraits in der CWC Gallery (Camera Work Contemporary) in Berlin Anfang 2015 und der Fotokolumne Die Gläubigen  im Feuilleton der SZ über mehrere Monate jeden Freitag ab Ende November 2017.
Derzeit sind drei Ausstellungen von ihm in Deutschland zu sehen:  Survivors auf Zollverein (bis 26.07.2020), über 30 zum Teil neue Close-Ups in Camerawork Berlin ( vom 20.06.2020 – 29.08.2020) und eine Werksschau im NRW Forum Düsseldorf (bis 13.09.2020).
Seine Close-Ups zeigen Personen echt und ungeschminkt.  Sie entziehen sich der bewussten Selbstdarstellung der Porträtierten und fokussieren einen Moment von Verletzbarkeit und Integrität.

 

Martin’s portraits capture the character of the individual and the purity of the moment.
(Jeff Koons im Vorwort von Portraits, Kempen 2014, S. 5)

 

 

National Geographic: Martin Schoeller on Intimate Portraiture.

Das Making Of

Wer meinen Beitrag bis hierher verfolgt hat, sollte den Making of – Film nicht versäumen. Er zeigt die Survivors während der Fotoaufnahmen und wie Martin Schoeller einfühlsam mit ihnen umgeht.

Martin Schoeller – SURVIVORS Behind the Scenes.

Sara Leichts Botschaft an uns alle

Das wichtigste, was wir tun können, ist lieben.
Mehr lieben und jeden lieben.
Gütiger sein, demütiger und großzügiger. Und bessere Menschen sein. Unsere Mitmenschen lieben, wer immer sie sind.

 

Sara Leicht * 1929 in Oradea, Rumänien
Umgesiedelt ins Ghetto Nagyvárad und später deportiert ins KZ Auschwitz-Birkenau.

10 Replies to “Ausstellung Survivors auf Zollverein”

  1. Liebe Barbara,

    vielen Dank, dass Du auf den Kulturort Zeche Zollverein hinweist und ihn wieder in mein Bewusstsein hebst.

    Ich habe mir eben die Bilder und den „Making of“-Film angesehen und bin sehr beeindruckt. Ich habe mal wieder gesehen, dass Schönheit nicht im faltenfreien, geglätteten oder jungen Gesicht liegt, sondern in den Geschichten, die Gesichter erzählen. Und wenn ich dann nach dem Betrachten der eindrucksvollen Ästhetik an die Überlebensgeschichten der Gesichter denke, dann meine ich schon auch, ich könnte die speziellen Leidenserfahrungen der Menschen darin in jeweiliger individueller Gebrochenheit erkennen.
    Beim Film fiel mir die Sanftmut, Geduld und Freundlichkeit auf, die diese Menschen ausstrahlen. Trotz vieler Gebrochenheiten in ihren Leben erkenne ich sie nicht als Gebrochene sondern sehr viel mehr als Freundliche.

    Mal wieder herzlichen Dank an Dich, Barbara, und viele Grüße
    Wolfgang

    1. Lieber Wolfgang,

      Zollverein ist immer einen Besuch wert!
      Ich freue mich, dass du dir den „Making of“ Film angeschaut hast. Ich fand ihn sehr wertvoll, erhellend und ein Stück weit unerwartet.
      Als ich die Leidensgeschichte jeden einzelnen Fotos als Bildunterschrift tippte, wurde mir die Brutalität des Nazisystems noch mal sehr deutlich. Die Einzelschicksale verdeutlichen das System, weniger die abstrakten Zahlen.

      Herzliche Grüße
      Barbara

  2. Liebe Barbara,

    ein wundervoller Beitrag über ein Thema, welches nicht in Vergessenheit geraten darf. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich die Botschaften der Überlebenden lese, die trotz allem an Liebe und Toleranz appellieren. Dazu ein frontaler Blick in die Augen der Menschen, deren Leidensweg für andere kaum nachzuempfinden ist.
    Die Fotos fangen die Atmosphäre auf eine ganz besondere Art ein. Großartig

    Liebe Grüße,
    Franka

    1. Liebe Franka,

      vielen Dank für deinen einfühlsamen Kommentar. Das Lob für die Originalfotos geht an Martin Schoeller, dessen Portraitkunst diese eindrucksvollen Bilder zu verdanken sind. Ich habe sie abfotografiert, in der Atmosphäre von Zollverein wiedergegeben und in einen Erzählkontext eingebunden.
      Herzliche Grüße
      Barbara

  3. Liebe Barbara,
    toll, dass du dieser Ausstellung – gerade in diesen Zeiten! – zu einer größeren Reichweite verhilfst.
    Deine Beschreibung „bis an die Schmerzgrenze“ vermitteln die Bilder sehr gut; live ist diese Intensität sicherlich noch eindringlicher.
    Ein wichtiger und interessanter Beitrag!

    1. Lieber Daniel,

      danke für die Wertschätzung meines Beitrags. Das Thema der Ausstellung ist mir wichtig, und in der Kokerei von Zollverein sind die Portraits stimmig inszeniert.
      Liebe Grüße
      Barbara

  4. Liebe Barbara,
    bei diesem Beitrag fällt mir zunächst eine Klassenfahrt ein, die wir etwa 1975/76 zu einer Ausstellung in der Villa Hügel gemacht haben. Bei der Gelegenheit war „Zollverein“ im wahrsten Sinne des Wortes noch „voll unter Dampf“. Seit dem war ich nicht mehr da. Ich glaube, dass dieses Areal zu Recht ein Industriedenkmal ist.
    Die Ausstellung ist natürlich vor allem bedrückend und mancher Satz der Betroffenen macht einen sprachlos nach dem Leidensweg dieser Menschen. So viel Optimismus und so wenig Wut und Vergeltungsäußerungen! Das macht sehr nachdenklich. Wieder alles sehr schön aufbereitet. Und die Fotos mit den Frontalportraits sind wirklich beeindruckend!

    1. Lieber Rainer,
      danke für deine Rückmeldung. Die Frontalportraits entsprechen der Intention von Martin Schoeller. In einen Dialog mit einer/einem Überlebenden treten. Alle anderen Fotos spiegeln die Stimmung in der Kokerei, die ich für den Gesamteindruck für wichtig halte. Nach so langer Zeit solltest du Zollverein unbedingt mal besuchen. Es lohnt sich!
      Liebe Grüße
      Barbara

  5. Eine sehr interessante Reise und Einblicke. In der Bildbearbeitung erkenne ich auch einige Fortschritte, die Bilder haben schöne Kontraste und dennoch eine gute Detailzeichnung in den Tiefen. Besonders gut ist mir dieses mal die Lichtsetzung aufgefallen.

    1. Lieber Bernhard,
      da spricht der Fotograf! Danke für deine differenzierte Rückmeldung. Offenbar kann man sich auch in fortgeschrittenem Alter noch weiterentwickeln. Ich fand die Lichtsituation in der Kokerei sehr herausfordernd!
      Liebe Grüße
      Barbara

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